Die verzierte Fassade des dreistöckigen Hauses erweckt nicht den Eindruck armer Bauern.
Die verzierte Fassade des dreistöckigen Hauses erweckt nicht den Eindruck armer Bauern. Über grosszügig bemessenen Fenstern erzählt eine Inschrift, dass der damals 77-jährige Thomas Gyger und seine 71-jährige Frau den Bau von Zimmermann Jakob Pieren errichten liessen. Damals, 1698, stand ein helles Haus da: Das frisch gesägte Holz war fast weiss. 300 Jahre Sonne hatten alle Aussenseiten dunkel gebrannt, als das Haus 1967/68 abgebaut wurde. Mit dem im Engstligental üblichen «Pfestermal» (Fenstermahl) wurde es 1970, lange vor Eröffnung des Freilichtmuseums, als erstes Museumsgebäude auf dem Ballenberg eingeweiht.
Die Landwirtschaft allein bringt oft nur ein bescheidenes Einkommen. Auch in früheren Jahrhunderten suchte manche Bauernfamilie nach Zusatzverdiensten. Viele wanderten aus, für immer oder im Rhythmus der Jahreszeiten. Oder sie wandten sich der Heimarbeit zu: Wie in den Uhrmacherateliers der Bauernhäuser im Jura lassen auch bei diesem Haus grosse Fenster Licht in eine Werkstatt strömen. Hergestellt wurden Spanschachteln: Das «Trüklen» (von «Truke»: Schachtel) meinte vor allem Zündholzschächtelchen, die von den 1860er bis in die 1910er Jahre Verdienst in die Gegend brachten.
Zuoberst in der Giebelwand fallen grosse Äste auf, die unter dem Dach aufgehängt sind. Es sind «Gretzeni», was im Berner Dialekt soviel bedeutet wie Zweige oder Geäst. Angeblich handelt es sich um mehr als blosse Windbrecher – einige wollen darin eine Abwehr böser Geister sehen …
Wie kommt das Vieh unter? Und wo das Futter? Wie lebt und arbeitet der Mensch? Statt mehrere Gebäude aufzubauen und unterhalten zu müssen, entschied man sich im Kandertal seit dem 15. Jahrhundert für diesen Typ des Vielzweckhauses. Stall, Scheune und Wohnraum sind alle unter einem Dach und die Nutzungsfunktion ist an der Hauptfassade ersichtlich. So ersparten sich die Bauern den weiten Weg zum Besorgen des Viehs, die Fussmärsche bei Lawinengefahr, das mühsame Umziehen mit den Tieren von einem Stall zum nächsten. Das zentrale System mit einem grösseren Hofgebäude war vor allem dort möglich, wo zusammenhängende Flächen arrondierte Höfe bildeten. Dort erbte der Jüngste oder in anderen Regionen der Älteste den ganzen Hof. Das elterliche Erbe wurde hier nicht in Einzelteile aufgelöst wie beispielsweise im Tessin.
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