Das Haus aus Oberentfelden ist ein Zeuge jener grossen Vielzweckhäuser mit zeltartigen Strohdächern.
Dank der Dendrochronologie (Messen der Holzjahrringe) steht fest, dass das Holz für die ältesten Schwellen des Hauses im Jahre 1609 gefällt wurde. 1627 erfuhr das Haus bereits den ersten Umbau. Dabei erhielt es einen feuersicheren Speicher, der als steinerner Gebäudeteil neben die Küche zu stehen kam und «Stock» heisst. Auch ein ganzes Steinhaus kann «Stock» heissen, wie das Beispiel von Villnachern zeigt (211). Im «Stock» des Hauses von Oberentfelden verwahrten die Bauern ihre Wertgegenstände, in erster Linie das Saatgut – das Kostbarste, das es gegen Feuer und Langfinger zu schützen galt. In den folgenden fast 400 Jahren wurde das Gebäude wiederholt geflickt und je nach Bedarf baulich verändert. Das zerfallene Haus gelangte 1984/85 auf den Ballenberg. Hier gestaltete man das Haus mit dem grossen, weiten Dach wieder so, wie es sich im 17. und 18. Jahrhundert präsentiert hatte.
Bis heute sind in der Schweiz Häuser dieses Typs zu finden. Allerdings decken längst nicht mehr Stroh, sondern Tonziegel die Dächer. Die Landwirtschaft hat sich verändert: Irgendwann verschwanden die langen Halme des Roggenstrohs, die von Hand geerntet wurden. Dieses Stroh war ganz besonders für die «weichen Dächer» geeignet. Nicht nur das Material fehlte, sondern auch jene, die es zu verarbeiten verstanden, nämlich die Strohdachdecker und ihr Wissen. Hinzu kommt, dass Strohdächer bei Bränden stark gefährdet waren. Deshalb erhöhten die Versicherungen im 19. Jahrhundert die Prämien für Strohdächer massiv. Auch dies trug zum Verschwinden des herkömmlichen und bis dahin weit verbreiteten Bedachungsmaterials bei – wer wollte schon das Doppelte zahlen und erst noch viel aufbringen für den intensiven Unterhalt? Als Kompromiss deckt heute ein Stroh-Schilfdach mit einer Lebenserwartung von ca. 50 Jahren das Haus aus Oberentfelden.
Dächer aus Stroh oder Schilf gehören zum Landschaftsbild in Ungarn, Norddeutschland, England oder Afrika. Auch in der Ajoie, in Genf und vor allem im Schweizer Mittelland gab es Bauernhäuser mit Strohdächern. Geblieben sind nur wenige: Das Haus aus Oberentfelden ist ein Zeuge jener grossen Vielzweckhäuser mit zeltartigen Strohdächern, von denen es einst Tausende gab. Bis in die Zeit um 1850/1900 glich manches Aargauer Dorf von weitem einem Zeltlager, derart prägend war das Bild dieser mächtigen Häuser.